Von Grindhouse, B-Movies und Double Bills

© TiJo (www.film-berater.de), 2020

Tarantinos Death Proof begeisterte manchen Cineasten, doch der Film floppte an den Kinokassen. Die Geschichte eines Missverständnisses lehrt uns eine Menge über das amerikanische Trash-Kino der 1970er Jahre.

Der Tarantino-Hype

Ich bin kein großer Tarantino-Fan. Dieses Geständnis erfordert Mut, gilt Quentin Tarantino bei vielen doch als der Kult-Regisseur schlechthin. Zweifelsohne gehört Tarantino zu den bedeutendsten Filmemachern unserer Zeit und ich verneige mich vor seiner Besessenheit. Tarantino ist ein Kinoverrückter. Als solchen schätze und achte ich ihn. Gleichzeitig empfinde ich seine Filme als ewig gleich und halte den darin enthaltenen Nerd-Humor nicht immer für komisch. Am liebsten, so mein Eindruck, beschäftigt sich Tarantino mit dem eigenen Schaffen.

Ausgerechnet Death Proof – Todsicher (Originaltitel Grindhouse: Death Proof, im weiteren Text nur Death Proof), den ich für virtuoser und weniger selbstgefällig als viele Tarantino-Filme davor und danach halte, war der erste (und bislang einzige) Flop des US-amerikanischen Filmregisseurs nach dem großen Durchbruch mit Reservoir Dogs. Dieser unkonventionelle Actionfilm – mit einem runtergerockten Kurt Russel in der Hauptrolle – irritierte seinerzeit nicht nur hierzulande die Kinozuschauer. War die Handlung nicht selbst für Tarantinos Verhältnisse unerträglich trivial? Meinte er das ernst? Und was hatte es mit den erschreckenden Qualitätssprüngen (Kratzer im Film, abrupte Farbwechsel, Soundtrack-Abbrüche) auf sich?

Eine missverstandene Liebeserklärung

Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es eines Ausflugs in die Filmhistorie. Denn Death Proof ist sicher keine weltbewegende Produktion, aber eine ungemein liebevolle Hommage an das B-Movie- und Exploitationfilm-Genre der 1970er Jahre. Um diesen Anspruch zu verdeutlichen, wurde der Film ursprünglich als Double Feature (ergänzt um Robert Rodriguez’ Planet Terror) konzipiert. Zwei Filme zum Preis von einem. Die Idee war nicht neu: Um die rückläufigen Zuschauerzahlen in der Great Depression aufzufangen, führten die Hollywood-Studios gegen Mitte der 1930er Jahre sogenannte Double Bills in ihren Kinos ein: Der aufwändig produzierte, kostspielige A-Film wurde durch einen billigen B-Film (B-Movie) ergänzt. Diese B-Movies waren von unbekannten Regisseuren inszeniertes „Füllmaterial“ und verzichteten auf Stars und Sternchen innerhalb der Darstellerriege. Die Plots waren mehrheitlich bescheiden, die Charaktere unterentwickelt und die Ausstattung oft einfach. Auch standen weniger Drehtage zur Realisierung eines B-Filmprojekts zur Verfügung.

Ab 1935 begann die Blütezeit dieser B-Movies. Schon bald war die Doppelvorführung, das Double Feature, in fast allen Kinos der USA üblich. Eine Ausnahme blieb der ländliche Süden der Vereinigten Staaten. Da B-Movies und Double Features von den Kinobesitzern zu Fixpreisen gebucht und nicht nach Publikumszahlen abgerechnet wurden, halfen diese maßgeblich dabei, Geschäftsschwankungen abzufedern und eine Vollbeschäftigung im Film- und Kinosektor zu ermöglichen. Nach und nach entstanden kleinere Studios ohne eigene Vorführbetriebe, die sich der alleinigen Herstellung von B-Movies widmeten. Nicht selten wurden diese „kleinen“ Filme aus Kostengründen in den Kulissen größerer A-Produktionen gedreht. Bis 1948 währte die Hochphase der B-Filme. Dann mussten sich die fünf Major-Studios (Paramount, Metro-Goldwyn-Mayer, Warner Brothers, 20th Century Fox und RKO) nach einer Kartellrechtsklage von ihren Kinoketten trennen, was die Filmlandschaft nachhaltig veränderte. Entsprechend erfuhr der Begriff des B-Movies eine Bedeutungsänderung im Wandel der Zeit. Heute versteht man unter einem B-Movie einen Film mit Inhalten von qualitativ geringem Niveau. Die Bezeichnung hat daher, anders als der Low Budget-Film, eine negative Konnotation. Jack Nicholson ist ein prominentes Beispiel für einen Darsteller, der im Laufe seiner Karriere von den B- zu den A-Schauspielern aufstieg.

Nachempfundene Grindhouse-Kultur

Zurück zu Death Proof: Für den charakteristischen Look schlecht gepflegter Filmkopien aus den 1970er Jahren, voller Striche und Unreinheiten, wurde das Filmnegativ zerkratzt, zerschnitten und wieder zusammengeklebt. Auch fehlerhafte Anschlüsse (Sprünge im Film) sind intendiert und lassen den Streifen wie ein authentisches Produkt der Grindhouse-Kinos wirken. Hierbei handelte es sich um kleine, oft heruntergekommene, Kinos, welche vielfach rund um die Uhr geöffnet hatten. Diese Grindhouses lassen sich am ehesten mit den deutschen Bahnhofskinos aus den 1970er Jahren vergleichen. Man zeigte bevorzugt Billigproduktionen von hohem Unterhaltungswert und geringer künstlerischer Ambition. Gespielt wurden klassischerweise Exploitationfilme (exploitation: dt. Ausbeutung), all jene Streifen, welche das Publikum durch eine drastische Darstellung, z.B. von Sex und Gewalt, auf affektiver Ebene ansprechen. Zu diesen Filmen zählten kostengünstig realisierte Western, Action- und Horrorfilme mit reißerischen Titeln und effekthascherischen Kinoplakaten. Der Begriff des Exploitationfilms wird teilweise synonym mit dem Begriff des Trashfilms verwendet. Für Grindhouse-Kinos war es typisch, zwei solcher B-Movies als eine Vorstellung im Doppelpack zu vermarkten.

Zu Beginn des zweiten Teils von Death Proof wechselt das Bild für eine zehnminütige Sequenz in Schwarz-Weiß. Ganz so als sei der Produktion das Geld ausgegangen und man habe auf günstigeren Film zurückgreifen müssen. Zwischen die beiden Produktionen des Grindhouse-Projekts, Planet Terror und Death Proof, wurden Fake-Trailer für andere (fingierte) B-Filme, Retrowerbung für den Süßigkeiten- und Getränkeverkauf im Kino und eine Ankündigung des Hauptfilms platziert. Tarantino und Rodriguez (From Dusk Till Dawn, Sin City) wollten ein thematisch aufeinander abgestimmtes Kinoerlebnis kreieren. Die filmverrückten Freunde hatten sich also mit spürbarer Begeisterung und Liebe fürs Detail ausgetobt. Allerdings begingen sie einen entscheidenden Fehler: Sie überschätzten das Interesse und das cineastische Vorwissen ihrer Zuschauer.

Death Proof – zu spät oder seiner Zeit voraus?

Längst nicht jeder konnte Death Proof, dieses vordergründig einfältige Werk, als Kunst goutieren. Zu speziell erschienen die zahlreichen Referenzen an Werke wie Sarafians Vanishing Point, Peckinpahs Convoy oder die billigen Sexploitation-Streifen Russ Meyers. Hinzu kam ein desaströses Marketing, was zum endgültigen Scheitern des ehrgeizigen Projektes beitrug. Der Begriff des Grindhouse-Kinos war zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung von Death Proof in vielen Ländern längst in Vergessenheit geraten. Deutschland stellte eine Besonderheit dar, da man hier schon früher kaum etwas mit dieser speziellen Kinosparte anzufangen wusste. Die davon abgeleitete Entscheidung, Planet Terror und Death Proof in Europa nicht in einer Doppelvorstellung zu zeigen, vernichtete das Event-Konzept der beiden Regisseure. Anders wurde für den amerikanischen Markt entschieden, doch hier verließen unwissende Kinobesucher bereits nach Planet Terror den Saal – ohne Tarantinos Death Proof überhaupt gesehen zu haben.

Bei genauerer Betrachtung baut Quentin Tarantino seine gesamte Karriere auf dem Erbe der einstigen B-Movies auf, doch nie wurde er in diesem Vorhaben expliziter als bei Death Proof. Die Enttäuschung über die missglückte Wiederbelebung des Double Features muss riesig gewesen sein, gerade wenn man bedenkt, dass das Einzelkind Tarantino Ende der 1970er Jahre seine Freizeit bevorzugt in den Grindhousekinos seiner Nachbarschaft verbrachte und den dort bewunderten B-Movies mit Death Proof ein filmisches Denkmal erschaffen wollte. Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt für diesen Film. Seit etwa zehn Jahren findet eine verstärkte Neubewertung des jahrelang als Trash verschriebenen Filmmaterials statt, von der Death Proof, der Tarantino-Flop aus dem Jahr 2007, profitieren könnte.

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