Bitter Moon

© TiJo (www.film-berater.de), 2020

Einleitung

Über Filme lässt sich streiten – das gilt in besonderem Maße für Roman Polańskis Bitter Moon. In meiner Wahrnehmung teilt der Film ein bedauernswertes Schicksal mit Carson McCullers, Gabriel Byrne und Dennis Rodman: Er ist kein Geheimtipp, wurde aber vielfach unterschätzt, hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Stattdessen erhielt Bitter Moon bei seiner Veröffentlichung 1992 gemischte Kritiken, der kommerzielle Erfolg blieb aus. Viele Rezensenten beurteilten den Film als äußerst vulgär, melodramatisch oder zu selbstgefällig. Insbesondere die Art und Weise, in der die Hauptdarstellerin, Emmanuelle Seigner (Ehefrau Roman Polańskis), als jugendlich-anmutende Femme Fatale zur Schau gestellt wird, erzürnte manchen Kritiker. Selbst der Vorwurf der geistlosen Pornografie wurde laut.
Tatsächlich wirkt die polarisierende Geschichte an mancher Stelle überzeichnet und ja, Bitter Moon ist voyeuristisch und wenig subtil: Die Musik, die betörenden Bilder, die prosaischen Huldigungen der großen Liebe und der Wollust werden dem Zuschauer förmlich um die Ohren gehauen. Gerade deshalb übt der unbehagliche Film aber eine seltene Faszination auf sein Publikum aus und stellt in seiner Gesamtheit eine fesselnde Studie über Besessenheit, Lust und unvorstellbare Grausamkeiten in Paarbeziehungen dar. Bitter Moon ist dabei anregend wie nur wenige andere Filme der 1990er Jahre, zutiefst böse und ironisch. Der Genre-Mix aus Drama, Tragödie, Erotikfilm und schwarzhumoriger Komödie entfaltet eine Sogwirkung, welche eine distanzierte Sichtweise nahezu verhindert. Es lohnt sich, diese unterschätzte Perle aus dem vielseitigen Schaffenswerk des französisch-polnischen Regisseurs (neu) zu entdecken.

Kritik

Eine Seefahrt, die ist lustig

Eine Kreuzfahrt von Venedig nach Istanbul mit anschließender Weiterreise nach Bombay (Mumbai) soll der abgekühlten Ehe von Fiona (Kristin Scott Thomas) und Nigel (Hugh Grant) neuen Schwung geben. Doch schon die Eröffnungssequenz des Films lässt keinen Zweifel daran, dass den beiden alles andere als eine seichte Seefahrt bevorsteht: Die Kamera fängt in einer spektakulären Einstellung erst das weite blaue Meer ein, zieht sich dann langsam zurück, bis allmählich ein Bullauge das eingefangene Bild rahmt, um dann wieder auf das offene Meer zu gleiten. Die sexuelle Symbolik dieser Kamerafahrt sowie die (etwas platte) Metapher der See, unter deren Oberfläche so vieles in unendlicher Tiefe verborgen liegt, stimmen die Zuschauer auf die folgende Geschichte ein.

Während der Schiffsreise lernen die Briten Fiona und Nigel den an den Rollstuhl gefesselten Amerikaner Oscar (Peter Coyote) und dessen sinnliche französische Ehefrau Mimi (Emmanuelle Seigner) kennen, zu der sich Nigel spontan hingezogen fühlt. Dies bleibt weder Oscar noch Nigels Ehefrau Fiona verborgen. Die Protagonisten der Geschichte repräsentieren aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft (Großbritannien, USA, Frankreich) drei Kulturen, die Polański allesamt wohl vertraut sind. Das ist insofern bemerkenswert, als dass es bei der Wahl der Herkunftsländer seiner Akteure zu einer ersten Abweichung von der dem Film zugrunde liegenden Literaturvorlage (Lunes de fiel) des Romanciers Pascal Bruckner kommt. Hier macht sich Polański die Geschichte zu seiner Geschichte.

Schon bald berichtet Oscar dem verstocktem Nigel ungefragt intimste Details aus seiner (co-abhängigen) Beziehung zu Mimi. Dabei setzt Polański den erfolglosen Schriftsteller als versierten Erzähler ein, um in mehrfachen Rückblenden eine Geschichte von Obsession, Abhängigkeit und Rache zu entspinnen. Oscars anschauliche Beschreibung seiner vielfältigen sexuellen Begegnungen mit Mimi ist Nigel sichtlich unangenehm, steigert jedoch sein erotisches Verlangen nach der geheimnisvollen Französin. Nicht nur Nigel fühlt sich von Oscars prosaisch-übersteigerten Schilderungen irritiert und doch in den Bann gezogen, auch für die Zuschauer entwickelt sich ein verstörender und zugleich faszinierender „Film im Film“. So erfährt Nigel (stellvertretend für die Zuschauer) nach und nach, genau genommen in vier Akten, die Geschichte der toxischen Beziehung zwischen Oscar und Mimi: Zu Beginn eine zufällige Begegnung im Bus, gefolgt von Oscars Bemühungen, Mimi wiederzufinden und schließlich ein Rendezvous. Oscar berichtet von ersten zärtlichen Berührungen und lustvollem Sex.
Mimi und Oscar sind in dieser frühen Beziehungsphase vernarrt ineinander, was der Film glaubhaft schildert, und um diese Leidenschaft zu konservieren, greifen sie zu immer extremeren Sexualpraktiken. Sie versuchen Fesselsex und – teils urkomische – Rollenspiele. Grenzen werden überschritten, doch alle Schweinemasken und Reitpeitschen können nicht darüber hinweghelfen, dass Oscars Lust abhandenkommt, während Mimi die Beziehung retten möchte und nach einem halbherzigen Trennungsversuch unumwunden zugibt, nicht mehr ohne Oscar leben zu wollen. Die sich entwickelnden Gemeinheiten zwischen dem einstigen Liebespaar lassen Fifty Shades of Grey wie einen harmlosen Familienfilm im Nachmittagsprogramm wirken.

Zu spät bemerkt Nigel, als Hauptfigur der Gegenwartsgeschichte, dass er selbst zum Objekt manipulativer Spielchen geworden ist und seine siebenjährige Liebesbeziehung zu Fiona wird ernsthaft auf die Probe gestellt, denn jedes Mal, wenn wir von den Erzählungen Oscars zu den Ereignissen an Bord des Schiffes zurückkehren, verschiebt sich auch die Situation zwischen Nigel und Fiona. Mehr soll über den Inhalt von Bitter Moon an dieser Stelle nicht verraten werden, denn das würde das große Sehvergnügen, die dieses Erotikdrama mit sich bringt, unnötig schmälern.

Die Besetzung von Bitter Moon ist (fast) ein Volltreffer

Emmanuelle Seigner, die 1989 den 33 Jahre älteren Roman Polański heiratete, und Peter Coyote glänzen in den Rollen von Mimi und Oscar. So versprühen sie in den ersten Tagen ihrer Beziehung eine Leidenschaft und Begierde, wie man es bisher nur selten im Kino erleben durfte. Das Spiel der beiden Darsteller ist in jeder Minute glaubwürdig und mitunter sehr berührend. Seigner gibt sich anfänglich lasziv und verführerisch, weiß Oscar – und durch dessen versierte Nacherzählung auch Nigel und so manchen Zuschauer – etwa durch erotische Tanzeinlagen zu beeindrucken, was die spätere Verwandlung zu einer gedemütigten und an ihrer starken Liebe zu Oscar zerbrechenden Frau, umso bemerkenswerter macht. Neben einer guten Maske braucht es für diese Transformation vor allem eine veränderte Körpersprache und Mimik – beides scheint für Seigner kein Problem darzustellen.

Nur Peter Coyote gelingt es wiederholt, Seigners starke Performance in den Schatten zu stellen. Es ist das überraschende Wechselspiel aus Charme und Eloquenz auf der einen Seite und missmutigen Attacken, Gemeinheiten und sadistischsten Manipulationen auf der anderen Seite, welches seine Figur so spannend macht. Und auch nachdem sich die Machtverhältnisse zwischen Mimi und Oscar scheinbar gedreht haben, Seigner nun wunderbar giftig und verletzend aufspielen kann, bleibt Peter Coyote die Idealbesetzung – vielleicht mit der besten Leistung seiner Karriere – für den schwer gezeichneten Oscar. Man beachte etwa die Szene, in der Oscar zitternd und hilflos im kaltem Badewasser sitzt…

Kristin Scott Thomas verkörpert die zugeknöpfte Fiona, die über weite Strecken kontrolliert und (sexuell) unterkühlt wirkt. Weil man ihr diese Rolle abkauft, funktioniert die kleine Verwandlung, welche sie zum Ende des Films durchläuft, umso besser. Scott Thomas macht ihre Sache gut, verblasst aber ein wenig neben den beiden erstgenannten Hauptdarstellern. Die Rolle ihres Ehemanns, Nigel, wird von Hugh Grant gespielt, der seinen großen Durchbruch erst nach Bitter Moon erleben sollte. Grant wirkt britisch und unbeholfen, was für die Rolle ein Gewinn ist. Obwohl man Grant schon erheblich schwächer als in Bitter Moon sehen konnte, weiß er am wenigsten zu überzeugen. In Bezug auf die treibenden Motive hinter seinem Verhalten, die unbändige Neugier auf den Ausgang der Geschichte und die tiefe sexuelle Sehnsucht, bleibt Nigel etwas blutleer.

Ein selten gefühlvoller Polański

Selten hat Polański vor oder nach Bitter Moon so gefühlvoll inszeniert wie in diesem Film. Die Beziehung von Mimi und Oscar fesselt von der ersten Sekunde bis zum tragischen Ende – zunächst durch ein Höchstmaß an Erotik und Sinnlichkeit, später durch unfassbares Leid und Selbstzerstörung, festgehalten in wunderschönen und fast unerträglichen Bildern (Kamera: Tonino Delli Colli, bekannt aus Es war einmal in Amerika). Durch die Gegenüberstellung dieser Extreme, der idealisierten Beziehung auf der einen und der unendlichen Abgründe auf der anderen Seite, wird es den Zuschauern unmöglich gemacht, sich der Sogwirkung der Geschichte zu entziehen. Beeindruckend ist zudem, wie sich Delli Collis Bildsprache der Rückblenden von jener der Gegenwartsgeschichte, an Bord des schwankenden Luxusliners, unterscheidet.

Die simple Versuchsanordnung in Bitter Moon versetzt neben den Zuschauern auch beide Paare in einen Sturm der Emotionen, während draußen auf der See immer mehr Wind und Wellen wüten. Dass die Geschichte für manchen Zuschauer mit ihren 138 Minuten etwas langatmig sein mag und das Finale vergleichsweise enttäuschend daherkommt, ist in Anbetracht des Gesamteindrucks den Bitter Moon hinterlässt, nur ein kleiner Wermutstropfen.

Polański illustriert eindrucksvoll, wie die Anziehung und das erotische Begehren im Laufe einer Beziehung erlöschen können und wie schwer es den verstrickten Parteien fällt, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen. Stattdessen werden Grenzen erst verschoben, dann überschritten, wird Liebe in Hass umgewandelt und das einstige Spiel um Dominanz und Unterwerfung wird zur todernsten Auseinandersetzung. Aufgrund der Erzählstruktur erfahren die Zuschauer zeitgleich mit Nigel immer mehr über die Geschichte von Mimi und Oscar, wobei nie klar wird, welche Details Oscars Männerfantasie oder seinem Schriftstellerhirn entsprungen sind und welche Ereignisse sich real so zugetragen haben. Gesteigert wird diese Unsicherheit durch die Tatsache, dass die Zuschauer nie sicher sein können, ob die Rückblenden ausschließlich Oscars Darstellung der Ereignisse oder Nigels – ebenfalls männlich überzeichnete – Vorstellung davon sind. Nach jeder weiteren Erzählung Oscars erscheinen er und Mimi zudem in einem anderen Licht, was zur gewollten Verwirrung von Nigel und den Zuschauern beiträgt. Am Ende bleibt die Frage: „Was ist dran an Oscars Geschichte?“

Fazit: Starke Verfilmung des Romans von Pascal Bruckner über Obsession, Dominanz und Unterwerfung in einer modernen Paarbeziehung. Schönheit und Schmerz der Liebe wurden selten nachvollziehbarer inszeniert als in diesem Erotikdrama Polańskis. Bitter Moon besticht durch eine raffinierte Erzählstruktur und die hervorragende Leistung seiner Darsteller.

Originaltitel: Bitter Moon
Produktionsland: Großbritannien, Frankreich
Erscheinungsjahr: 1992
Regie: Roman Polański
Drehbuch: Roman Polański, Gérard Brach, John Brownjohn
Darsteller: Hugh Grant, Kristin Scott Thomas, Emmanuelle Seigner, Peter Coyote
Kamera: Tonino Delli Colli
Musik: Vangelis
FSK: 16

Für wen ist dies der ideale Film?

  • Die FSK-Freigabe ab 16 halte ich für sinnvoll, da dem Zuschauer weder erotische Exzesse noch sadistische Grausamkeiten erspart werden.
  • Mir fallen wenig vergleichbare Filme ein, anhand derer Sie einen Eindruck gewinnen können, ob der Film ihre Sehgewohnheiten trifft. Basic Instinct erscheint mir vergleichsweise oberflächlich und bot seinerzeit (ebenfalls im Jahr 1992 veröffentlicht) zu wenig Unerwartetes.
  • Bitter Moon sollten unbedingt jene Leser anschauen, welche das verkitscht-triviale Fifty Shades of Grey als vollumfängliche filmische Abhandlung der Gefühle auf einer Klaviatur von Liebe und Demütigung in Paarbeziehungen verstanden haben – falls es diese Menschen gibt.
  • Eine weitere seltene Spezies dürften die Liebhaber sogenannter „rom coms“ (romantic comedies) sein, welche herzlich eingeladen sind, zu erfahren, wie es aussehen kann, wenn die prototypische Handlung der romantischen Komödie mit äußerster Brutalität und bitterer Ironie weitergesponnen wird. Auch Bitter Moon hat seine (schwarz-) humorigen Anteile, die Chancen stehen gut, dass sie den Film lieben oder aus ganzem Herzen hassen werden.
  • Unbedingt sehenswert ist Bitter Moon für Freunde der Schauspielkunst des (hierzulande eher unbekannten) Peter Coyotes – die Verkörperung des unsympathischen Schriftstellers dürfte die Krönung seiner Schauspielerkarriere gewesen sein.
  • Allen Fans der Arbeit Roman Polańskis sei der Film wärmstens empfohlen, nur gehe ich davon aus, dass diese Bitter Moon kennen.
  • Nicht zuletzt sollten Sie den Film anschauen, wenn Sie Carson McCullers, Gabriel Byrne oder Dennis Rodman mögen – Sie wissen schon wieso…

Welches Setting passt zu diesem Film?

  • Bitter Moon bietet ein außergewöhnliches Filmerlebnis für Einzelpersonen und für (kleinere) Gruppen, er unterhält und fesselt über einen Zeitraum von mehr als zwei Stunden.
  • Auch wenn es sich möglicherweise um den emotional komplexesten Film Polańskis handelt, ist dieser inhaltlich leicht zu verfolgen und kann aufgrund seiner Sogwirkung selbst zu späterer Stunde bei schon einsetzender Müdigkeit oder am Ende eines anstrengenden Arbeitstages problemlos geschaut werden.
  • Bitter Moon handelt von der perversen Freude, die es uns bereiten kann, den Partner leiden zu sehen. Selten zuvor wurden die Abgründe der Liebe und die Folgen der libidinösen Unersättlichkeit konsequenter geschildert. Dieser Film sollte aus nachvollziehbaren Gründen weder beim ersten Date noch am Abend vor der eigenen Hochzeit angeschaut werden.

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