Hallam Foe – This Is My Story

© TiJo (www.film-berater.de), 2020

Einleitung

Gehören Sie zu den Menschen, die von Bong Joon Hos Parasite hellauf begeistert waren? Dabei ist es gar nicht so leicht zu beschreiben, was diesen südkoreanischen Film zu einem außergewöhnlichen Erlebnis macht. Ein, schon in Bong Joon Hos früheren Filmen angewandtes, Erfolgsrezept ist die konsequente Sprengung aller Genregrenzen. Handelt es sich bei Parasite um einen Thriller, ein Familiendrama, eine schwarzhumorige Komödie? Die Prämisse, sich nicht auf ein einziges Genre zu beschränken, gefällt mir. Frei nach Phineas Taylor Barnum: a little something for everybody. Auch Hallam Foe – This Is My Story, weit weniger bekannt als Parasite und ein paar Jahre älter, stellt einen wilden Genremix dar. Das skurrile Märchen erzählt eine moderne Initiationsgeschichte in ästhetischen Bildern.

Kritik

Von der Sehnsucht nach dem Mutterschoß

Der Film Hallam Foe – This Is My Story trug in Deutschland zunächst den alternativen Titel Hallam Foe – Aus dem Leben eines Außenseiters. Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft änderte die ursprüngliche Freigabe (FSK 16) im Verlauf auf eine FSK 12-Freigabe. Um die Verwirrung auf die Spitze zu treiben, erhielt die FSK 12-DVD-Fassung den neuen Namen Hallam Foe – Anständig durchgeknallt. Trotz seiner zahlreichen Wendungen ist der Plot von Hallam Foe – This Is My Story vergleichsweise einfach erklärt:
Der einsame Titelheld Hallam Foe, ein kauziger 17-jähriger Teenager (verkörpert von Jamie Bell), kann den Tod seiner Mutter nicht überwinden. Diese starb vor zwei Jahren, ertrunken im See des prächtigen Familienhauses in den schottischen Highlands. Hallam sucht wie besessen nach Beweisen, dass seine geliebte Mutter nicht durch einen Unfall gestorben ist. Er verdächtigt seine jugendliche Stiefmutter (Claire Forlani), mit der sein reicher Vater (Ciarán Hinds) schon vor dem Tod seiner Gattin eine Affäre hatte, die Mörderin seiner Mutter zu sein. Dabei scheint der Hass auf seine attraktive Stiefmutter vor allem ein Mittel zu sein, um die erotische Anziehung, die sie auf Hallam ausübt, zu verdrängen. Der Verlust der abgöttisch geliebten Mutter, der Hallam einen Altar errichtet hat, führt dazu, dass er ein seltsam regressives Verhalten an den Tag legt. So verkriecht sich Hallam in einem Baumhaus, trägt ein Dachskostüm, bemalt sich mit Lippenstift und beobachtet durchs Fernglas heimlich Liebespaare oder spioniert seiner Stiefmutter hinterher. Der obsessive Voyeurismus Hallams scheint seinem Wunsch nach Nähe zu entsprechen. Als ausgerechnet seine Stiefmutter ihn verführt, hat Hallam genug und flieht – nicht zuletzt um den unerträglichen inneren Konflikten zu entkommen – nach Edinburgh.

In der Großstadt wird das Baumhaus zum Glockenturm

Dort will er, abgelöst vom Elternhaus, von vorne beginnen. Er streunt ziellos umher, bis er ein neues Ziel seiner voyeuristischen Obsession, entdeckt: Die hübsche Kate (Sophia Myles), Personalchefin in einem Nobelhotel, ist das Ebenbild seiner verstorbenen Mutter. Der verliebte Hallam tritt einen Job als Küchengehilfe in dem Hotel an, in dem Kate arbeitet, und bezieht einen alten Glockenturm, von dem aus er allabendlich ihre Wohnung beobachten kann. Die unbändige Sehnsucht nach der Mutter wird fortan auf Kate projiziert, die Befreiung aus der Mutterbindung scheint zunächst misslungen. Doch es entwickelt sich nach und nach eine Geschichte, in deren Verlauf Hallam sein sicheres Wolkenkuckucksheim über den Dächern Edinburghs verlassen muss, um seine Selbständigkeit zu beweisen und von der idealisierten Mutterfigur Abschied zu nehmen.

Ein höchst unterhaltsamer Genremix

Ein Entwicklungsroman von Peter Jinks stellt die literarische Vorlage zu Hallam Foe – This Is My Story (2007) dar. Der Regisseur David Mackenzie exploriert in seinem vierten Langfilm die Psyche eines Heranwachsenden im Stil eines Coming-of-Age-Dramas. Aber Hallam Foe – This Is My Story hat mehr zu bieten: Der Film mit seinen frechen Dialogen funktioniert als Tragikomödie, lässt Thrillerspannung aufkommen, erzählt eine obsessive Liebesgeschichte, hat einen düsteren Einschlag und besitzt märchenhafte Züge. Genres (und Gefühle) werden spielerisch vermengt, die Handlung schlägt so manch unerwarteten Bogen und die erfrischende Erzählweise trägt dazu bei, dass der Film in erster Linie sehr viel Spaß macht. Mackenzie, der mit dem Drama Young Adam international erste Aufmerksamkeit erlangte, erweist sich zudem als Freund schottischer Indiemusik – Bands wie Franz Ferdinand steuerten den mitreißenden Soundtrack zu Hallam Foe – This Is My Story bei. Honoriert wurde dieser Sound mit einem Silbernen Bären für die beste Filmmusik. Bei einer so energiegeladenen Tonspur besteht die Gefahr, dass das Visuelle dahinter zurücksteht. Giles Nuttgens Kameraarbeit ist jedoch superb. Romantische Naturaufnahmen aus den schottischen Highlands wechseln sich mit magischen Bildern aus dem nächtlichen Edinburgh ab. Dieser poetischen Bildsprache verdankt der Film seine märchenhaften Züge. Auch die zahlreichen literarisch-filmischen Zitate sind kaum zu übersehen, wobei die liebevollen Reminiszenzen an Hitchcocks Das Fenster zum Hof und Vertigo am offensichtlichsten sind.

Hallam Foe – This Is My Story profitiert von einem starken Ensemble

Neben dieser leichtfüßigen Inszenierung, eingeleitet durch eine den Ablösekonflikt aufgreifende Zeichentricksequenz des schottischen Künstler David Shrigley, sind es die jungen Darsteller, die Hallam Foe – This Is My Story bereichern. Allen voran Jamie Bell – einst Ballettschüler Billy Elliot, seither abonniert auf leicht bizarre Charaktere – der den Hallam mit viel Hingabe und noch mehr Können verkörpert. Sein stechender Blick, seine Wandlungen zwischen Sympath, Spinner und Kotzbrocken, das Hadern mit den Unwägbarkeiten der Pubertät, die Traurigkeit, die man ihm wirklich abkauft – all das macht Bell richtig gut. Auch Sophia Myles in ihrer Rolle als Kate findet in jeder Szene den perfekten Ausdruck. Selbst kleine Nebenrollen spielen wunderbar glaubhaft – hier hat die Castingabteilung ganze Arbeit geleistet.

Ein mutiger Film, nicht frei von Mängeln

Wer (stilistisch) so viel wagt wie Mackenzie, kann nicht alles richtig machen. An Hallam Foe – This Is My Story gibt es hier und da Kleinigkeiten zu bemängeln. Dass die Erzählweise erfrischend und aufregend ist, bedeutet nicht, dass auch die Handlung besonders unkonventionell daherkommt. Die Adoleszenzgeschichte erzählt vom Außenseitertum und der schwierigen Ablösung vom Elternhaus. All das kennt man, es ist ein bewährtes Muster, welches schon plausibler als in Hallam Foe – This Is My Story gezeigt wurde. Die hinter dem Handeln ihrer Akteure verborgene Motivation erscheint nicht immer schlüssig. Auch gewisse dramaturgische Brüche sind nicht von der Hand zu weisen. Letztlich sollte die Geschichte nicht zu kritisch hinterfragt werden; als modernes Märchen, nichts anderes hat Mackenzie hier inszeniert (die böse Stiefmutter wird verstoßen und der Held zieht daraufhin in die weite Welt hinaus…), funktioniert sie wunderbar. Zudem ist der Unterhaltungswert der Produktion bemerkenswert und das Tempo hoch, was über diese kleineren Mängel hinwegtröstet. Ich habe in den 96 Filmminuten gelacht, gestaunt und mitgefiebert.

Fazit: Modernes Märchen und schräges Coming-of-Age-Drama. Ein temporeicher Film, der eine – auch aus psychologischer Sicht – interessante Geschichte erzählt. Filme über die schwierige Ablösung von den Eltern mag es viele geben, doch Hallam Foe – This Is My Story besticht durch eine erfrischende Inszenierung und viel Humor.

Originaltitel: Hallam Foe
Produktionsland: Vereinigtes Königreich
Erscheinungsjahr: 2007
Regie: David Mackenzie
Drehbuch: David Mackenzie, Ed Whitmore
Darsteller: Jamie Bell, Sophia Myles, Ciarán Hinds, Claire Forlani, Jamie Sives
Kamera: Giles Nuttgens
Musik: Matt Biffa
FSK: 12

Für wen ist dies der ideale Film?

  • Wenn Sie schräge Coming-of-Age-Filme wie Silver Linings oder Garden State mögen, werden Sie vermutlich ein Herz für diesen Film haben.
  • Sie haben die oben genannten Filme nicht gesehen? Hallam Foe – This Is My Story ist ein Film, der die vielen Facetten des Heranwachsens auf originelle Art und Weise beleuchtet. Wenn Sie der Thematik etwas abgewinnen können und gleichzeitig Freude an Geschichten mit psychologischem Unterbau haben, dann dürfte Sie der Film nicht enttäuschen.
  • Wenn Sie Genre-Hybriden mögen, weil Sie sich nie zwischen Thriller, Drama und Komödie entscheiden können, ist Hallam Foe – This Is My Story eine gute Wahl.

Welches Setting passt zu diesem Film?

  • Hallam Foe – This Is My Story ist ein temporeicher und energiegeladener Film, der Sie auch zur späteren Stunde auf Trab hält.
  • Der Film sollte in größeren Gruppen funktionieren, ist aber auch ideal für Paare geeignet, die sich nie auf eine Filmgattung einigen können – hier haben Sie gleich mehrere Genres vereint.

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