Von Arthouse, Autorenfilmen und der Nouvelle Vague

© TiJo (www.film-berater.de), 2020

Handelt es sich beim Arthouse-Film um ein eigenes Filmgenre oder verbirgt sich hinter dem Begriff ein Label? Und wieso schreibe ich Arthouse, wenn sich auf Ihrer DVD-Hülle eine davon abweichende Schreibweise findet (Arthaus)? Der folgende Beitrag bringt Licht ins Dunkel des Autorenfilms.

Zu viel Arthouse?

Amanda Murray, Radiomoderatorin und Musikerin, brachte 2017 einen Song heraus, der den Titel Zu viel Arthouse trägt. Im Refrain bemängelt die Berliner Schnauze, dass sie und ihr Partner mittlerweile „zu wenig Action“ und „zu viel Arthouse“ seien. Arthouse steht dabei stellvertretend für einen gesetzten Lebens- und Beziehungsstil, den die Sängerin kritisiert – sie vermisse die aufregenden Erlebnisse früherer Tage. Der Arthouse-Begriff ist längst zum Klischee geworden, ohne dass seine eigentliche Bedeutung hinreichend bekannt ist. Arthouse kann nach Meinung vieler Menschen fast jeder Film sein, der ausreichend anstrengend und intellektuell daherkommt. Unnötig schwer, spaßbefreit oder dialoglastig. Man spürt intuitiv, dass Michael Bays Popcornkino oder ein Avengers-Film keine Arthouse-Produktionen sind, kann es aber nicht argumentativ begründen. Der Arthouse-Gattung werden überlange vietnamesische Sozialdramen mit französischen Untertiteln zugeschrieben. Protagonisten, die in die Leere starren, eine selbstgedrehte Zigarette inhalierend, auf den Schultern das Gewicht dieser Welt. Manch ein Blockbusterfan behauptet mit großer Genugtuung, nie einen Arthouse-Film gesehen zu haben. In Wahrheit werden es die wenigsten filmbegeisterten Menschen geschafft haben, Arthouse-Produktionen konsequent aus dem Weg zu gehen – zu vielfältig und bunt sind diese aufgestellt. Horrorfilme oder Actionthriller gehören genauso ins Arthouse-Repertoire, wie der dialoglastige französische Autorenfilm.

Historische Ursprünge des Arthouse-Begriffs

Die Ursprünge des Arthouse-Begriffs liegen im englischsprachigen Raum. Ende der 1920er-Jahre begannen in den USA, vor allem in den Großstädten der Ostküste, sogenannte Art House Cinemas ausschließlich Produktionen vorzuführen, die von hohem künstlerischem Wert waren. Anders als bei den großen Hollywood-Filmen, mit denen sich schon in jenen Tagen viel Geld verdienen ließ, stand hier die Kunst im Vordergrund, während das kommerzielle Interesse nachrangig war. Auch außerhalb der USA widmete man sich damals mit großem Interesse diesen Mainstream-Alternativen. In Großbritannien entstanden Specialised Halls, die mit den Art House Cinemas durchaus vergleichbar waren, und in Deutschland wurden Filmkunsttheater oder Programmkinos erschaffen.

Die Gattung des Autorenfilms

Schon vor der Arthouse-Bewegung gab es den Autorenfilm. Bis 1914 verstand man unter diesem Begriff Filme, die auf Vorlagen großer Dramatiker beruhten. Das Engagement bedeutender Autoren sollte die Anziehungskraft des Kinos erhöhen. Das Publikum hatte kaum Interesse an dieser Art des Films. Was wir heute unter dem Begriff Autorenfilm verstehen, ist ein Film, der von seinem Regisseur maßgeblich geprägt wird. Neben der Regie verfasst dieser etwa das Drehbuch und bestimmt das Geschehen im Schneideraum, sodass viele künstlerische Aspekte in der Hand einer einzigen Person liegen. Zu den bekanntesten deutschen Autorenfilmern zählen Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und Werner Herzog. In den Geburtsjahren des Films war streng genommen ein jeder Film ein solcher Autorenfilm. Große Produktionsteams hätte man sich nicht leisten können. Etwa ab 1927 wuchs Hollywood mit seinen „Big Five“ genannten Major-Studios (Warner Bros., Paramount Pictures, Metro Goldwyn-Mayer, 20th Century Fox, RKO Pictures Inc.) zum unangefochtenen Marktführer heran. Plötzlich wurden Studios mit der Produktion eines Films beschäftigt – der Autorenfilmer wurde entmachtet, seine Arbeit auf viele Köpfe umverteilt. Somit verschwand der klassische Autorenfilm aus Hollywood. Gleichzeitig entwickelte er sich abseits des Mainstreams zu einer anspruchsvollen Filmgattung weiter. Auf üppige Budgets, berühmte Schauspieler oder eine ausgeklügelte PR-Kampagne musste mehrheitlich verzichtet werden, stattdessen wurden unkonventionelle Erzählstrukturen und intelligente Dialoge in den Fokus gerückt. Der Autorenfilm setzte sich häufig anders mit den großen gesellschaftlichen oder philosophischen Fragen unserer Zeit auseinander als die großen Blockbuster aus Hollywood es taten. Autorenfilme waren es dann auch, die Einzug in die Art House Cinemas, die Specialised Halls und die Filmkunsttheater fanden. Somit ist die Geschichte des Arthousekinos eng verknüpft mit der Entwicklung des Autorenfilms.

Was die Franzosen mit all dem zu tun haben

Ihre Blütezeit erlebten die Art House Cinemas in den 1950er und 1960er Jahren. Damals gab es allein in den USA etwa 500 von ihnen. Überall auf der Welt bildeten die häufig etwas kleineren Programmkinos ein Gegengewicht zu den Mainstream-Kinos und ihren Blockbuster-Vorführungen. Häufig waren es europäische Autorenfilme aber auch Wiederaufführungen innerhalb von Retrospektiven, die die Menschen in die Filmkunsttheater lockten. Das überwiegend akademisch gebildete Publikum nutzte das Programm des Arthouse-Kinos zur symbolischen Abgrenzung, gegen die, in Hollywood produzierte, Konfektionsware für den Massengeschmack. Heute ist der Programmkino-Anteil in Deutschland eher gering. Anders sieht es bei unseren französischen Nachbarn aus, die einen höheren Anteil echter Filmkunsttheater vorweisen können. Das liegt daran, dass der Autorenfilm in den 1950er- und 1960er-Jahren durch französische Regisseure wie Claude Chabrol, Jean-Luc Godard, Jacques Rivette, Éric Rohmer oder François Truffaut im Rahmen der sogenannten Nouvelle Vague einen phänomenalen Aufschwung erlebte.

Wo kann man Arthouse-Kino erleben?

Wie eingangs erwähnt, glaube ich nicht, dass es überhaupt möglich ist, Arthouse-Produktionen kategorisch zu vermeiden. Dem Wesen des Arthouse-Films entspricht es zwar, anders zu sein als der Hollywood- Mainstream, es ist aber schwer zu leugnen, dass es längst einen Mainstream innerhalb des Sammelbeckens Arthouse gibt. Ich selbst bin Fan zahlreicher Arthouse-Werke, ein Großteil meiner Lieblingsfilme lässt sich dieser Gattung zuordnen. Eine Besonderheit von www.film-berater.de liegt darin, dass ich auch und vor allem Filme von geringem Bekanntheitsgrad vorstellen möchte. Independent-Filme, Autorenfilme, Arthouse. Trotzdem erfahren diese Werke in gleichem Maße eine kritische Bewertung von mir, wie die gigantischen Produktionen aus Hollywood. Letztlich ist Arthouse längst ein gerne benutztes Etikett, welches für sich allein keinen guten Film verspricht. Vielleicht überrascht es Sie, dass die großen Streaminganbieter wie Netflix und Amazon Prime Video auf Mainstream und Arthouse setzen – mit beiden Strömungen lässt sich heute Geld verdienen. Wenn Sie einen Film suchen, der dem Arthouse-Kino entstammt, haben Sie es hierzulande heute einfach: Seit 1994 existiert der Arthaus Filmvertrieb, der damit wirbt, „Besondere Filme“ zu vermarkten. Arthaus (mit „au“) hat sich auf die Fahnen geschrieben, Öffentlichkeit für Filme zu schaffen, die sonst Gefahr laufen, durch große Blockbuster-Produktionen verdrängt zu werden. Der Elefantenmensch, Pulp Fiction, Die Reifeprüfung, Apocalypse Now oder La La Land. Wie vielfältig der Arthouse-Begriff ist, spiegelt das breitgefächerte Sortiment des Arthaus-Filmvertriebs. Alle Filme eint aber der Anspruch, Kino als Kunst und nicht bloß als Unterhaltung zu begreifen. Wo Arthaus drauf steht, ist also Arthouse drin. Noch Fragen?

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